Montag, den 11. Februar 2019 um 04:19 Uhr

Nährstoffkreisläufe im sauerstoffarmen Meer bemessen

In den Weltmeeren kommen mehrere große, besonders sauerstoffarme Gebiete vor, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als sogenannte Sauerstoffminimumzonen (Englisch: Oxygen Minimum Zones, OMZ) bezeichnen. Diese Meeresgebiete können Millionen von Quadratkilometern umfassen und treten besonders dort auf, wo eine intensive Meeresströmung und die vorherrschende Windrichtung auf eine ausgedehnte, quer verlaufende Küstenlinie treffen. Diese Strömungsverhältnisse verursachen unter anderem den sogenannten Küstenauftrieb, also das Aufsteigen nährstoffreichen Tiefenwassers. Dies fördert wiederum das massenhafte Vorkommen sauerstoffverbrauchender Kleinstlebewesen auch in oberflächennahen Wasserschichten, die so das Sauerstoffangebot des Meeres reduzieren. Solche Bedingungen treten zum Beispiel im Pazifik vor der südamerikanischen Westküste auf Höhe Perus auf. Hier hat sich eine besonders umfangreiche OMZ gebildet. Ein Forschungsteam des Sonderforschungsbereichs (SFB) 754 "Klima-Biogeochemische Wechselwirkungen im tropischen Ozean", ein Kooperationsprojekt von Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, untersuchte in einer aktuellen Studie die Physiologie dort lebender einzelliger, gehäusebildender Kleinstlebewesen, der sogenannten Foraminiferen. Einige dieser Foraminiferen-Arten sind speziell an sauerstoffarme Bedingungen wie in der peruanischen OMZ angepasst. So konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Verständnis ihrer Stoffwechselprozesse verbessern und damit eine Grundlage zur Quantifizierung des Stickstoffkreislaufs im sauerstoffarmen Meer schaffen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie gestern in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS).

Die Atmung der Foraminiferen

Die peruanische OMZ erstreckt sich in der Vertikalen von knapp unterhalb der Wasseroberfläche bis in rund 600 Meter Tiefe. In Abhängigkeit von der Wassertiefe ist hier wenig bis gar kein Sauerstoff vorhanden. Diese Lebensbedingungen begünstigen Organismen, die entweder mit der Abwesenheit oder wechselnden Verfügbarkeit von Sauerstoff zurechtkommen, zum Beispiel diverse Foraminiferen-Arten. Je nach Verfügbarkeit können sie sowohl Sauerstoff als auch Nitrat „veratmen“. Die Nitratatmung geht dabei mit dem Prozess der Denitrifizierung einher: Damit wird die Umwandlung des im Wasser enthaltenen Nitrats in molekularen Stickstoff in Abwesenheit von Sauerstoff bezeichnet. Das massenhafte Auftreten der Foraminiferen in den OMZ legt nahe, dass sie eine wichtige, aber bislang schwer zu beziffernde Rolle in den Stoffkreisläufen dieser Meeresgebiete spielen. „Um den Anteil der Foraminiferen an den Stoffbilanzen der OMZ künftig besser einordnen zu können, haben wir uns den Zusammenhang von Wachstum und Denitrifizierungsrate bei diesen Lebewesen genauer angeschaut“, erklärt Professorin Tal Dagan vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie an der CAU und Co-Autorin der Studie.

Foraminiferen bevorzugen Stickstoff statt Sauerstoff

Dazu haben die Forschenden die Stoffwechselaktivitäten und die Größe der Foraminiferen, genauer gesagt das Volumen ihrer Zellen, in Zusammenhang gebracht. Dabei stellten sie fest, dass die Organismen in der OMZ mit zunehmendem Nitratvorkommen in Abwesenheit von Sauerstoff größer werden und mit zunehmendem Zellvolumen auch mehr Nitrat umsetzen können. Die bisherigen Annahmen zur Physiologie von einzelligen Kleinstlebewesen, die über einen Zellkern verfügen und zu denen auch die Foraminiferen gehören, legten dagegen nahe, dass die Organismen in den OMZ eigentlich kleiner werden müssten: Mit der Abnahme des Sauerstoffangebots könne ihr Stoffwechsel nur mit einem kleineren Verhältnis vom Volumen zur Oberfläche ihrer Zellen aufrechterhalten werden. Diesen Widerspruch konnten die Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun aufklären: Die Kleinstlebewesen bevorzugen nicht wie bisher angenommen eine sauerstoffreiche Umgebung. Ihr primärer Stoffwechselweg ist stattdessen die Nitratatmung. „Sie scheinen nicht, wie bisher angenommen, eine sauerstoffreiche Umgebung zu bevorzugen und nur im Notfall auf Nitratatmung umzustellen. Vielmehr ist offenbar eine Umgebung ohne Sauerstoff ihre natürliche Präferenz“, sagt CAU-Meeresbiologin und Co-Autorin Dr. Alexandra-Sophie Roy.

Eine Sauerstoffminimumzone im Reagenzglas

Um die Stoffwechselwege der Organismen zu untersuchen, mussten die Forschenden lebendige Foraminiferen im Labor inkubieren. Die Lebewesen entnahmen sie aus Sedimentproben des Meeresbodens in dem südamerikanischen Untersuchungsgebiet. „Da die Foraminiferen im Pazifik vor Peru ganz spezifische Lebensbedingungen vorfinden, mussten wir diese Faktoren im Labor möglichst genau simulieren“, betont der Leiter dieser Studie, Dr. Nicolaas Glock aus der Forschungseinheit Marine Geosystem am GEOMAR und Mitglied im SFB 754. „Dazu haben wir unter anderem in einem Kühlraum bei Temperaturen wie in einer Meerestiefe von 300 Metern gearbeitet und auch verschiedene Umweltbedingungen, wie Salz- und Sauerstoffgehalt angepasst“, so Glock weiter. Dazu nutzte er ein Verfahren, das dem Meereswasser in einem winzigen Glasbehälter, einer sogenannten Küvette, den Sauerstoff entzieht, um die Sauerstoffarmut in der OMZ nachzubilden. Die untersuchten Wasserproben mit den darin enthaltenen Foraminiferen umgab er mit einer Vitamin C-Lösung, nur getrennt durch eine hauchdünne Silikonmembran. Über diese Silikonmembran konnte der Sauerstoff in die Vitamin C-Lösung entweichen und dort gebunden werden. So gelang es, die Umweltbedingungen in der Sauerstoffminimumzone im Labor nachzubilden und die physiologischen Anpassungen der vor Peru heimischen Foraminiferenarten zu beobachten.

Der Einfluss mariner Stoffkreisläufe auf Fischerei und Klima

Die von den Kieler Forschenden im Detail beschriebenen Denitrifizierungsraten der Foraminiferen können künftig dabei helfen, genauere Modelle der sogenannten marinen Nährstoffkreisläufe zu entwickeln. Insbesondere in den Sauerstoffminimumzonen spielt die große Verfügbarkeit von Nährstoffen eine wichtige Rolle: Genauere Modelle für die Nährstoffzyklen sind entscheidend für das Verständnis der marinen Primärproduktion, wie zum Beispiel das Gedeihen von Plankton. Sie ist wiederum die Grundlage der Nahrungsnetze im Meer und damit letztlich sämtlicher Fischerei-Erträge. Dabei repräsentiert die Gesamtheit der OMZ insgesamt nur etwa 0,1 Prozent der globalen Meeresoberfläche, sie bringen aber rund 18 Prozent des weltweiten Fischfangs hervor. Da sich die Sauerstoffminimumzonen in den vergangenen 60 Jahren möglicherweise unter menschlichem Einfluss ausgedehnt haben, ist eine genaue Erforschung der dort ablaufenden Stoffkreisläufe von besonderer Bedeutung. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel wird es zudem künftig immer wichtiger, klimarelevante Stoffe und ihre Mengen in den OMZ genauer beziffern zu können. „Nur mit auf realistischen Größen beruhenden Modellen können dann zum Beispiel künftig Vorhersagen über die Mengen des im sauerstoffarmen Ozeans gebundenen Nitrats oder den Umfang der dort stattfindenden CO2-Freisetzung getroffen werden“, betont Professor Andreas Oschlies vom GEOMAR und Sprecher des SFB 754. „Mit der nun vorgelegten Forschungsarbeit haben die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine sehr gute Grundlage für bessere Prognosen geschaffen, die jetzt auch die wichtige Rolle einer weitverbreiteten Gruppe von Organismen für den Stickstoffkreislauf berücksichtigt“, so Oschlies weiter.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/033-naehrstoffkreislaeufe-omz/

Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (02/2019)


Publikation:
Nicolaas Glock, Alexandra-Sophie Roy, Dennis Romero, Tanita Wein, Julia Weissenbach, Niels Peter Revsbech, Signe Høgslund, David Clemens, Stefan Sommer, Tal Dagan (2019): Metabolic preference of nitrate over oxygen as an electron acceptor in Foraminifera from the Peruvian oxygen minimum zone PNAS, Published on February 06, 2019,
https://dx.doi.org/10.1073/pnas.1813887116

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