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Donnerstag, den 06. Juni 2019 um 09:35 Uhr

Genomforschung: Die Pest kam in mehreren Wellen in das frühmittelalterliche Bayern

Ein internationales Forschungsteam hat menschliche Überreste von 21 archäologischen Fundorten untersucht, um mehr über Auswirkung und Evolution des Pesterregers Yersinia pestis während der ersten Pestpandemie (541-750 n. Chr.) zu erfahren. In einer Studie, die nun in der Fachzeitschrift PNAS publiziert wurde, gelang es dem Team, das gesamte Erbgut aus Überresten verschiedener, über 1300 Jahre alter Pestbakterien aus Deutschland und erstmals auch darüber hinaus aus Großbritannien, Frankreich und Spanien zu rekonstruieren. So konnte eine bisher unbekannte Vielfalt an Pesterregern aufgedeckt werden, die unter anderem neue Erkenntnisse über die Pest im frühmittelalterlichen Bayern liefert.

Im Jahr 541 begann im Byzantinischen Reich eine verheerende Seuche, die sog. „Justinianische Pest“, benannt nach dem damals regierenden Kaiser Justinian I. In der Folge suchte die Krankheit für nahezu 200 Jahre in mehreren Wellen Europa und den Mittelmeerraum heim. Zeitzeugen hinterließen Berichte über das Ausmaß der Pandemie, die Schätzungen zufolge bis zu 25% der Bevölkerung des Mittelmeerraumes ausgelöscht hatte. Paläogenetische Studien an baiuvarischen Gräbern aus Aschheim (Lkr. München) und Altenerding (Lkr. Erding) in Bayern konnten in den letzten Jahren nachweisen, dass tatsächlich der Pest-Erreger, das Bakterium Yersinia pestis, für die Pandemie verantwortlich war. Bisher war nur diese eine Variante des Pestbakteriums aus dem frühmittelalterlichen Bayern bekannt, nun konnten weitere, bisher unbekannte Peststämme identifiziert werden, die vom sechsten bis ins achte Jahrhundert Europa heimsuchten. Die Untersuchung ihrer Verwandtschaft gibt Aufschluss über die Ausbreitung der Pest.

Neue Nachweise der Pest in Bayern und erstmals auch in Großbritannien, Frankreich und Spanien

In der neuen Studie analysierte ein internationales Forschungsteam unter Führung von Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, menschliche Überreste aus Mehrfachbestattungen von 21 archäologischen Fundorten in fünf Ländern. Angestoßen wurde die Studie unter anderem durch die Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München (SNSB-SAPM). In Zusammenarbeit mit der Archäologischen Staatssammlung, sowie Archäologen der LMU München und des Landesamts für Denkmalpflege wurden systematisch frühmittelalterliche Mehrfachbestattungen aus Bayern auf den Pesterreger hin untersucht. Dabei wurden mehr als achtzig Proben von 16 Gräberfeldern bearbeitet. Die DNA des Pesterregers Yersinia pestis wurde in zwölf Individuen nachgewiesen, die in frühmittelalterlichen Gräberfeldern in Dittenheim (Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen), Unterthürheim (Lkr. Dillingen/Donau), Petting und Waging (beide Lkr. Traunstein) bestattet wurden.

Für Dittenheim, Unterthürheim und Petting konnten sogar ganze Y.-pestis-Genome rekonstruiert werden. Außerdem gelang es dem Team zum ersten Mal, frühmittelalterliche Y.-pestis-Genome außerhalb Bayerns, nämlich aus Großbritannien, Frankreich und Spanien zu sequenzieren. Während historische Berichte eindeutig von frühmittelalterlichen Epidemien in den Mittelmeerländern wie Frankreich und Spanien berichten, galt es bislang als fraglich ob es die Justinianische Pest auch bis nach Großbritannien geschafft hatte. Mit dem nun vorliegenden Nachweis des Pesterregers in einem angelsächsischen Gräberfeld in England (Edix Hill) dürften die langjährigen Spekulationen darum beendet sein.

Vielfalt von Yersinia-pestis-Stämmen während der ersten Pestpandemie

Die acht im Rahmen der Studie neu rekonstruierten Genome offenbarten eine bislang unbekannte Vielfalt von Pesterreger-Stämmen im Europa des 6. bis 8. Jahrhunderts. “Trotz der Vielfalt haben die Genome allerdings nur eine einzige gemeinsame Abstammungslinie. Dies deutet darauf hin, dass die Pest wohl nur einmal in den Mittelmeerraum bzw. nach Europa eingetragen wurde“, erklärt Marcel Keller, einer der Hauptautoren, der für die Studie als Doktorand am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte sowie an der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie tätig war. „Sie hatte sich vermutlich in Nagetierpopulationen in Europa oder dem Nahen Osten festgesetzt und wurde von dort auch immer wieder auf den Menschen übertragen, wodurch es wiederholt zu Epidemien kam.“

Mindestens zwei Pestwellen in Bayern

Auch in Bayern brach die Pest wohl öfter aus: „Während die Genome aus Unterthürheim und Dittenheim identisch mit den ersten Genomen aus Aschheim und Altenerding sind, haben wir in Petting einen zweiten, unabhängigen, wenn auch nah verwandten Peststamm gefunden“, erklärt Ko-autorin Michaela Harbeck von der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München. „Dies deutet darauf hin, dass Bayern von mindestens zwei Pestwellen betroffen war.“

„Diese Entdeckung ist sehr bedeutsam, da wir im Gegensatz zu den anderen Regionen für die Pest im frühmittelalterlichen Bayern keinerlei schriftliche Belege haben. Anhand der nun insgesamt sechs bayerischen Fundorte mit Pestnachweis können wir sehen, wie umfassend die Region damals von der Seuche betroffen war. Ohne die paläogenetischen Nachweise wäre uns das heute völlig unbekannt“, führt Brigitte Haas-Gebhard von der Archäologischen Staatssammlung aus.


Den Artikel finden Sie unter:

https://www.snsb.de/index.php/de/aktuelles/794-pest-in-bayern

Quelle: Staatliche Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns (06/2019)


Publikation:
Keller M, Spyrou MA, Scheib CL, Neumann GU, Kröpelin A, Haas-Gebhard B, Päffgen B, Jochen Haberstroh J, i Lacomba AR, Raynaud C, Cessford C, Durand R, Stadler P, Nägele N, Bates JS, Trautmann B, Inskip S, Peters J, Robb JE, Kivisild T, Castex D, McCormick M, Bos KI, Harbeck M, Herbig A, Krause J (2019) Ancient Yersinia pestis genomes from across Western Europe reveal early diversification during the First Pandemic (541–750). Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America
https://doi.org/10.1073/pnas.1820447116

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