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Mittwoch, den 23. Oktober 2019 um 04:49 Uhr

Auf radioaktiver Spurensuche

Isotopenphysikerin Karin Hain entwickelt ultra-sensitive Methoden, um das selten vorkommende Radionuklid Technetium 99 (99Tc) in Umweltproben aufzuspüren. Wenn das gelingt, wäre auch der Klimaforschung geholfen: Als Tracer erzählt 99Tc über die Auswirkungen der Polschmelze auf die Meeresströmungen.

Die Erdkruste zu Österreichs Füßen bringt etwa 9,4 Billiarden Tonnen auf die Waage und besteht aus nahezu allen chemischen Elementen. Der Anteil des Radionuklids Technetium 99 (99Tc) ist dabei schwindend gering – das Vorkommen in der gesamten Erdkruste beträgt gerademal 90 Tonnen.

Menschgemachte Emissionen

99Tc kommt natürlich vor, der weitaus bedeutendere Anteil an der Erdoberfläche wurde und wird jedoch von Menschen emittiert. Rund 200 Kilogramm gehen auf das Konto von Kernwaffentests, die weltweit bis in die 1960er Jahre durchgeführt wurden. Ebenso wird Technetium 99 in Wiederaufbereitungsanlagen abgesondert – der Nuklearkomplex Sellafield in Großbritannien führt die Emissionsliste an: "Hier ging in den 1990er Jahren eine Anlage in Betrieb, die zwar schwerere Nuklide herausfilterte, 99Tc aber ungehindert durchließ. Der Ausstoß wurde erst nach zehn Jahren deutlich reduziert, zu diesem Zeitpunkt war das Radionuklid bereits im Tonnenbereich in die Irische See ausgestoßen", erzählt Karin Hain, Projektleiterin in der Forschungsgruppe Isotopenphysik an der Uni Wien. Durch die hohe Verdünnung in der Umwelt und der langen Halbwertszeit gelten die Emissionen aber als radiologisch irrelevant.

Erst verstehen, dann emittieren

Wenig, aber dennoch wichtig, findet die Isotopenphysikerin: "Technetium 99 hat eine lange Halbwertszeit und verhält sich nach derzeitigem Verständnis sehr mobil, weshalb es als besonders bedenklich für die Endlagerung von nuklearem Abfall gilt. Wir wissen bisher aber nur begrenzt, wie sich das Radionuklid bei verschiedenen chemischen Bedingungen in der Umwelt verbreitet. Vor weiteren möglichen Emissionen müssen wir diese Vorgänge verstehen."

Technetium in der Krebsdiagnostik

Eine weitere Emissionsquelle, "die es im Auge zu behalten gilt", liegt im medizinischen Bereich. Technetium dient in metastabiler Form (Technetium 99m) als medizinischer Tracer in der Krebsdiagnostik und kommt weltweit ca. 70.000 Mal täglich zur Anwendung: "Technetium liefert gute Signale und kann Tumore sichtbar machen" so Hain. Das Technetium zerfällt im Gegensatz zu anderen Tracern aber nicht direkt in ein stabiles Nuklid, sondern in einen langlebigen Grundzustand, welcher von den PatientInnen über Ausscheidungen an die Kanalisation abgegeben wird.

Gut getarnte Teilchen


Um die Spuren-Konzentrationen von 99Tc in der Umwelt feststellen und die Verbreitung nachverfolgen zu können, braucht es mit herkömmlichen Methoden eine große Menge an Probenmaterial: "Es werden etwa 1.000 Liter Pazifikwasser benötigt, um 99Tc überhaupt zu finden", erklärt Karin Hain. Mit der Beschleuniger-Massenspektrometrie kann das Volumen auf zehn Liter reduziert und so die Datenlage zur Verbreitung von 99Tc signifikant verbessert werden. Doch die Auswertung der Umweltproben stellt Karin Hain und ihr Team vor methodische Herausforderungen: Die herkömmlichen Anlagen zur Massenspektrometrie können nicht zwischen gleichen Massen unterscheiden – ob es sich in den Proben tatsächlich um das extrem seltene Radionuklid 99Tc oder etwa um das um Größenordnungen häufiger vorkommende stabile Ruthenium 99 (Ru-99) handelt, können die Forscherinnen daher nicht eindeutig bestimmen.

Die Umweltproben werden aktuell zusammen mit dem Projektpartner, der Technischen Universität München, an einer Anlage mit 14 Megavolt analysiert. "Nur mit derart großen Beschleunigern wird die notwendige Untergrundunterdrückung erreicht, um 99Tc eindeutig identifizieren zu können", erklärt Hain. 

Methode mit Entwicklungspotenzial

Weltweit gibt es nur zwei Anlagen in dieser Größenordnung – nicht genug, um die Konzentration von Technetium 99 flächendeckend zu untersuchen. "Wir suchen nun nach einer Methode, mit der wir Technetium 99 auch an niederenergetischen Teilchenbeschleunigern, so wie an VERA (Vienna Environmental Research Accelerator) hier an der Universität Wien, nachweisen können." Helfen soll dabei ein Aufbau, der vor drei Jahren an VERA installiert wurde und für andere Nuklide bereits vielversprechende Ergebnisse geliefert hat: Vor Eintritt in den Beschleuniger überlagert ein Laser den Ionenstrahl und führt dazu, dass Elektronen von der Ruthenium-Verbindung gelöst werden, sodass Ru-99 nicht weiter transportiert werden kann und Technetium 99 bestimmbar wird.

Aufschlussreiche Emissionen

Der Forscherin geht es zunächst um einen Proof of Principle – kann dieses Vorhaben physikalisch überhaupt funktionieren? Falls ja, kann die Spurenanalyse auch außerhalb der Physik nützlich werden. "Technetium 99 wird im Wasser mittransportiert und könnte so als Umwelttracer für Meeresströmungen dienen. Durch die Emissionen der Anlage in Sellafield hätten wir zum ersten Mal zusätzlich zur Ortsinformation auch konkrete Zeitinformationen, anhand derer wir die Nordatlantikströmungen unter realen Bedingungen im zeitlichen Vergleich betrachten können – das wiederum würde Aufschluss über die Auswirkungen der Polschmelze geben und wäre in der Diskussion um den Klimawandel relevant", erklärt Hain: "Es ist bedauerlich, dass Radionuklide in die Umwelt gelangen, aber wir können immerhin versuchen, diesen Umstand für etwas Positives zu nutzen.


Den Artikel finden Sie unter:

https://medienportal.univie.ac.at/uniview/forschung/detailansicht/artikel/auf-radioaktiver-spurensuche/

Quelle: Universität Wien (10/2019)

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